Viele Unternehmen fragen sich heutzutage, wie sie sich nachhaltiger und fairer aufstellen können. Das möchten wir gerne unterstützen! Um Inspirationen zu liefern, stellen wir die Geschichten und Gesichter hinter verschiedenen Hamburger Unternehmen vor, die bereits im Fairen Handel aktiv sind.

Nachdem wir von Paul Bethke etwas über das Trinken-hilft-Prinzip von Lemonaid erfahren haben und Thomas Wahnschaffe uns erzählt hat, was es bei der Umstellung auf fair gehandelte Produkte im Wilhelms im Wälderhaus für Herausforderungen gab, nimmt uns Magdalena Gassner (3.v.r.) mit zu den Pionieren des Fairen Handels: den Weltläden. Aber lest selbst!

Interview mit der Vertreterin der Hamburger Weltläden, Magdalena Gassner

Sarah: Weltläden bezeichnen sich als „Fachgeschäfte des Fairen Handels“. Was bedeutet das genau?

Magdalena: Das bedeutet zum einen, dass alle Produkte im Weltladen fair gehandelt sind. Weltläden haben ihr ganzes Sortiment im Blick. Zum anderen bedeutet es, dass Mitarbeiter:innen in Weltläden Auskunft über den Hintergrund der Produkte geben können. Also, wo kommt das Produkt her? Von wem wurde es hergestellt? Darüber hinaus können Kund:innen natürlich auch fachliche Beratung erhalten, z.B. zu unterschiedlichen Kaffees, Tees oder einzigartigem Kunsthandwerk.

Sarah: In Hamburg gibt es über zehn Weltläden. Worin liegen die Gemeinsamkeiten und was unterscheidet sie voneinander?

Magdalena: Als Weltläden vertreten wir dieselbe Idee vom Fairen Handel und arbeiten auf der Basis einer gemeinsamen Konvention. Eine wichtige Grundlage sind dabei die drei Säulen der Weltladen-Arbeit: Bildungsarbeit, politische Arbeit und Verkauf. Fairer Handel ist für uns eine Handelspartner:innenschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht. Weltläden bilden damit eine Wertegemeinschaft. Und dass nicht nur hier in Hamburg, sondern bundesweit. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 900 Weltläden, die Hälfte davon ist im Weltladen-Dachverband organisiert.

Blick in den Weltladen Bergedorf

Weltläden sind trotz der gemeinsamen Grundlage unterschiedlich. In Hamburg haben sie zum Beispiel nicht nur verschiedene Organisations- und Rechtsformen (Weltladen Bergedorf: eingetragener Verein, Weltladen Harburg und Weltladen Ottensen: Genossenschaft, Weltladen Osterstraße: GmbH), sondern auch unterschiedliche Schwerpunkte hinsichtlich des Sortiments. In Bergedorf gibt es seit dem Umzug 2020 einen Schwerpunkt auf Bekleidung. Der Weltladen Ottensen hat kein eigenes Textil-Sortiment, aber mit Marlowe Nature ein Shop-in-Shop-System. Kaffee ist dabei ein zentrales Produkt aller, einige haben darüber hinaus auch ein kleines Café im Weltladen. Dabei bleiben Weltläden immer individuell geführte Geschäfte.

“Mir ist es wichtig, dass die Prinzipien des Fairen Handels nicht nur für den Globalen Süden gelten, sondern auch auf das eigene Unternehmen übertragen werden können.”

Sarah: Mit ihrer knapp 50-jährigen Geschichte gelten Weltläden als Pioniere im Fairen Handel. Was kannst du Unternehmen, die anfangen wollen sich mit Fairem Handel zu beschäftigen, mit auf den Weg geben? Was können andere Unternehmen von Weltläden lernen?

Magdalena: Viel! Mir ist es wichtig, dass die Prinzipien des Fairen Handels nicht nur für den Globalen Süden gelten, sondern auch auf das eigene Unternehmen übertragen werden können. Dabei geht es um ein Miteinander, eine gegenseitige Wertschätzung und darum, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Wenn sich Unternehmen offen für Veränderung zeigen, sollten sie auch offen dafür sein, die Arbeit anders zu gestalten – mehr hin zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe mit ihren Partner:innen in Nord und Süd.

Sarah: Hat die Veränderungsbereitschaft in den letzten Jahren zugenommen?

Magdalena: Ja, eindeutig. Es gibt ein größeres Bewusstsein dafür, dass der Status quo nicht beibehalten werden kann. Der Druck steigt, gerade in Anbetracht der drohenden Klimakrise. Politische Bewegungen wie Fridays for Future haben einen großen Anteil daran. Aber auch Themen wie Cradle to Cradle oder Achtsamkeit. Das sind alles Aspekte, mit denen sich auch der Faire Handel beschäftigt. Achtsam im Umgang miteinander, achtsam durch Handelspartner:innenschaften. Die Corona-Pandemie hat das alles nochmal verstärkt und die Probleme in globalen Lieferketten sichtbarer gemacht. Vieles davon war zwar schon auch vorher bekannt, aber durch die Sichtbarkeit ist auch die Sensibilität der Menschen gestiegen.

Sarah: Was sind aktuelle Herausforderungen, denen ihr euch gegenüber seht?

Magdalena: Eine große Herausforderung ist der zunehmende Online-Handel. Wie schaffen wir es, den Einzelhandel so attraktiv zu gestalten, dass die Menschen einen Anreiz haben, in die Läden zu kommen und nicht alles nur noch online bestellen? Ein Online-Shop bietet schließlich kein Einkaufserlebnis. Weltläden eignen sich genau hierfür optimal. Denn wir verkaufen die Produkte nicht nur, sondern können auch die Geschichten hinter den Produkten erzählen. Hier liegt unsere Einzigartigkeit.

“Viele Kund:innen kommen heute, weil ihnen die Produkte gefallen und nicht, weil sie etwas Gutes tun wollen.”

Sarah: Inwiefern haben sich die Kund:innen in den letzten 50 Jahren verändert?

Magdalena: Viele Kund:innen kommen heute, weil ihnen die Produkte gefallen und nicht, weil sie etwas Gutes tun wollen. Wenn sie dann auch noch etwas über die Geschichte hinter dem Produkt erfahren, wird es für sie noch attraktiver im Weltladen einzukaufen. Früher lag der Fokus nicht unbedingt auf einer attraktiven Gestaltung des Sortiments. Da hat sich sehr viel getan. Mittlerweile gibt es viele schöne Weltläden mit qualitativ hochwertigen Produkten. Leider haben Weltläden oft noch ein verstaubtes Image, das gilt es zu ändern, denn wir wissen, dass es sich längst gewandelt hat.

Produkte im Weltladen Osterstrasse, © Magdalena Gassner

Unsere Handelspartner:innen stellen diese hochwertigen Produkte her und sie sagen uns immer wieder, dass das auch ihr Anspruch ist und sie ihre Produkte nicht für den „guten Zweck“ verkaufen wollen. Ich mag diesen Begriff und die Einstellung dahinter auch nicht. Ich bin im Fairen Handel aktiv, weil das meine Überzeugung ist, wie ich Handel betreiben will, nicht weil ich damit einen guten Zweck erfüllen will. Dann wäre es nur eine andere Form von Almosen.

Lebensmittelregal im Weltladen Osterstrasse, © Bernd Willeke

Sarah: Gibt es einen Satz, den du nicht mehr hören kannst?

Magdalena: Ja, genau das, dieses „Gutes tun“. Ich will nichts Gutes tun. Ich will ein anderes Wirtschaftssystem. Das klingt dann immer so revolutionär und kämpferisch, aber das muss es wahrscheinlich auch. Mit dem Prinzip was Gutes zu tun, lässt sich nichts verändern. Wir brauchen einen politischen Wandel. Und wenn man unseren Handelspartner:innen, egal auf welchem Kontinent, zuhört, dann hört man das auch raus.

Eine zweite Sache, die ich nicht mehr hören kann, sind Kommentare zum Preis. Letzte Woche kam eine Kundin rein, hat sich ein Produkt angeguckt und dann gesagt: „Oh, das ist aber teuer.“ Was ist denn „teuer“? Ich finde es extrem schade, dass sich viele Diskussionen immer noch um den Preis drehen. Denn beim Fairen Handel steckt viel mehr dahinter. Unsere Handelspartner:innen können von ihren Produkten in Würde leben. Und das Problem ist nicht, dass fair gehandelte Produkte zu teuer, sondern die meisten Produkte zu billig sind.

Sarah: Was motiviert dich?

Magdalena: Die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit der Geschichten aus dem Fairen Handel. Und dass die Menschen, die im Fairen Handel aktiv sind, die Veränderung schon leben. Also nicht Teil von etwas zu sein, irgendeinem Projekt, von dem man denkt, in ein paar Jahren vielleicht, wenn man Glück hat, wird das realisiert werden, sondern, die Veränderung bereits tagtäglich zu leben. Das motiviert mich sehr. Dazu kommt der Zusammenhalt in der Fair-Handels-Gemeinschaft während der Pandemie: Solidarität ist hier nicht nur ein Wort, sondern wird tatsächlich gelebt.

Schmuck, Schals & Lederwaren im Weltladen Harburg
Ostern im Weltladen Ottensen

Sarah: Was wünschst Du Dir von der Stadt Hamburg?

Magdalena: Hamburg versteht sich als „Tor zur Welt“, hat aber auch in Anbetracht seiner nur wenig aufgearbeiteten Kolonialgeschichte eine große Verantwortung. Dieser Verantwortung könnte Hamburg ganz konkret bei der öffentlichen Beschaffung ein wenig gerechter werden. Das ist ein enormer Hebel, den die Stadt da in der Hand hat, und den sie nutzen sollte. In Altona und Eimsbüttel gibt es zum Beispiel einen Fair-o-mat, das ist ein fairer Snack-Automat. Der wird bisher von uns Weltläden bestückt. Dabei wäre es eigentlich viel logischer, wenn die Stadt die Produkte von den Weltläden bezieht und die Bestückung des Fair-o-mat selbst übernimmt. Dazu sollte es noch viel mehr solcher Automaten in der ganzen Stadt geben.

Und ich würde mir wünschen, dass es Unternehmen, die im Fairen Handel aktiv sind, leichter gemacht wird. Dass sie dabei unterstützt werden sichtbarer zu werden. Dem Fairen Handel muss mehr Raum und Sichtbarkeit gegeben werden.

“Ich hoffe, dass durch die Kampagne sehr viel Vernetzung untereinander entsteht und Weltläden weitere Verbündete finden.”

Sarah: Ist das auch das, was Du Dir für die Kampagne erhoffst, mehr Sichtbarkeit bekommen?

Magdalena: Ja, natürlich. Deswegen ist auch der Charakter als Mitmach-Kampagne wichtig und dass es nicht nur um die bloße Information geht. Ich hoffe, dass durch die Kampagne sehr viel Vernetzung untereinander entsteht und Weltläden weitere Verbündete finden. Ich würde Unternehmen gerne inspirieren, wie man es anders machen kann. Denn als Weltläden wissen wir, wie Fairer Handel ausbuchstabiert wird. Gleichzeitig sind auch Weltläden Lernende. Wir freuen uns über alle, die den Weg des Fairen Handels mit uns gehen wollen.

Magdalena Gassner ist seit über 15 Jahren im Fairen Handel aktiv. Neben ihrem Engagement im Weltladen Osterstraße, berät sie u.a. Hamburger Weltläden im Bereich Online-Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Ihr Ziel: Weltläden sichtbarer machen.

 

Über die Hamburger Weltläden

Gründungsdatum: 1977 (Weltladen Osterstraße)

Anzahl der Weltläden: 14

Faire Produkte: Lebensmittel (von Kaffee und Schokolade über Nüsse und Weine bis hin zu speziellen Delikatessen), Kunsthandwerk (Geschirr und Kerzen, Deko- und Geschenkartikel, Taschen, Schals, Schmuck…), Mode

Länder bzw. Kooperativen/Produzent:innen, von denen die fair gehandelten Produkte kommen: aus der ganzen Welt, mehr Infos unter: www.weltladen.de/produkte-handelspartner

Weltläden beziehen ihre Produkte von anerkannten Fair-Handels-Importorganisationen, die auf die Einhaltung der Fair-Handels-Kriterien der World Fair Trade Organization (WFTO) überprüft werden. Die komplette Lieferkette ist transparent und daher nachvollziehbar. Im Weltladen steht der Mensch im Mittelpunkt.

 

 

 

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fairtont. Der Weltladen-Podcast - #4 Moritz Neumeier

© Weltladen-Dachverband
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