Viele Unternehmen fragen sich heutzutage, wie sie sich nachhaltiger und fairer aufstellen können. Das möchten wir gerne unterstützen! Um Inspirationen zu liefern, stellen wir die Geschichten und Gesichter hinter verschiedenen Hamburger Unternehmen vor, die bereits im Fairen Handel aktiv sind.

Neben den Weltläden und el rojito ist das Süd-Nord Kontor das dritte Hamburger „Fair-Handels-Urgestein“. Seit über 40 Jahren versorgt das regionale Fair-Handels-Zentrum Weltläden und andere Organisationen mit fairen Produkten. Wir haben mit Albrecht Voigt (Geschäftsleitung, 2.v.r.) und Kai Friedrich (Versand/Logistik, 3.v.r.) darüber gesprochen, was das Besondere am Süd-Nord Kontor ist, was andere Unternehmen von der jahrzehntelangen Erfahrung im Fairen Handel lernen können und was sie jeden Tag aufs Neue motiviert. Aber lest selbst!

Interview mit Albrecht Voigt & Kai Friedrich, Süd-Nord Kontor

Sarah: Das Süd-Nord Kontor hat 1978 als „Aktionszentrum 3. Welt“ angefangen, eine Garage war der erste Firmensitz. Seitdem ist einiges passiert…

Albrecht: Ja, seitdem ist sehr viel passiert! Damals sind Student:innen mit einem VW-Bus zur GEPA nach Wuppertal gefahren und haben dort Waren eingekauft haben, die sie dann hier in der Kirchengemeinde, aus einer Garage heraus, verteilt haben. Danach fand das in der Markthalle in Hamburg statt, und als die Werkstatt 3 eingerichtet wurde, wurde dort ein Vertriebslager installiert. Dort konnten erstmals Weltläden und Gruppen aus ganz Norddeutschland hinkommen und ihre Ware einkaufen. Das war 1983, ich selber habe 1991 als studentische Aushilfe angefangen.

1994 sind wir dann an den heutigen Standort in die Stresemannstraße gezogen. Mit über 2.000 qm haben wir hier eine große Ausstellungsfläche, man kann sich die Produkte direkt anschauen. Das ist für viele Kund:innen sehr interessant. Das tragende Standbein unserer Firma ist allerdings der Versandhandel. Wir haben am Tag ungefähr zwei Rollcontainer, die wir rausbringen. Dazu kommt noch der ganze Speditionsversand.

“Es geht darum, seine Handelspartner:innen zu respektieren und nicht über den Tisch zu ziehen.”

Sarah: Was versteht ihr unter Fairem Handel?

Albrecht: Für uns bedeutet Fairer Handel, dass alle an dem Handel teilnehmenden Partner:innen einen gerechten Lohn bekommen und es keine Übervorteilung gibt. Es gibt da eine sehr passende Aussage des brasilianischen Bischofs, Dom Hélder Câmara von 1968: „Eure Almosen könnt ihr behalten, wenn ihr uns faire Preise zahlt!“. Die Aussage zielt darauf ab, dass alle in der Handelskette beteiligten – nicht nur die Produzent:innen, sondern auch die Wiederverkäufer, die Transporteure usw. – gerecht entlohnt und auch anerkannt werden in ihrem Tun. Das ist für uns ganz wichtig! Bei unseren Zulieferern für die technische Ausstattung nehmen wir auch nicht jeden, nur weil er billige Produkte anbietet. Das muss alles in unser Firmenportfolio reinpassen.

Früher bezog sich der Faire Handel nur auf den Handel mit Produzent:innen aus dem Globalen Süden. Das wird heutzutage etwas weiter gefasst und das ist auch gut so, denn man kann Fairen Handel auch durchaus innerhalb Europas durchführen. Es geht eben darum, seine Handelspartner:innen zu respektieren und nicht über den Tisch zu ziehen.

Sarah: Ihr bezieht eure Produkte von ca. 25 verschiedenen Lieferanten. Wie wählt ihr die Lieferanten aus?

Albrecht: Da wir nicht alle Lieferanten selbst überprüfen können, sind wir darauf angewiesen, dass andere das für uns tun. Das heißt, eine Zertifizierung bzw. die Listung im Weltladen-Dachverband ist für uns sehr wichtig. Die vom Weltladen-Dachverband anerkannten Lieferanten unterscheiden sich in ihrer Größe und Struktur, handeln aber alle nach den Prinzipien des Fairen Handels und halten sich an die Konvention der Weltläden.

Anerkannter-Lieferant

Sarah: Ihr verkauft die Produkte nicht nur, sondern bietet auch Beratungen und Verkostungen an…

Albrecht: Ja, wir verstehen das als Service, der zum Verkaufen dazu gehört. Vor allem Kaffeeverkostungen habe ich schon viele durchgeführt – sowohl hier bei uns im Süd-Nord Kontor als auch woanders. Leider ruht das zurzeit natürlich etwas. Die Beratung, die wir anbieten, richtet sich vor allem an Weltläden. Oft geht es um die Ausstattung der Läden und die Präsentation der Produkte, um zum Beispiel die Hochwertigkeit von handgefertigten Produkten zur Geltung zu bringen. Wir haben viele Informationen über unsere Produkte und unsere Handelspartner:innen, die wir gerne weitergeben – entweder in schriftlicher Form vor, gern aber auch in einem persönlichen Gespräch.

Sarah: Was könnt ihr Unternehmen, die sich mit Fairem Handel beschäftigen wollen, mit auf den Weg geben?

Kai: Ich denke, wenn Unternehmen damit starten wollen, kommt es nicht darauf an, gleich alles umzukrempeln. Man kann mit kleinen Sachen anfangen – mit Zucker oder mit Kaffee, und dann hangelt man sich von einem zum anderen. Dass ein Unternehmen sofort alles auf den Kopf stellt, habe ich selten erlebt.

Natürlich gibt es vieeeel Kaffee, © Süd-Nord Kontor

Sarah: Welchen Herausforderungen seht ihr euch aktuell gegenüber?

Albrecht: Corona schwebt natürlich über allem. Und das hat auch Auswirkungen auf den Umgang mit den Kund:innen. Du musst maskiert sein, kannst nicht so freundlich kommunizieren. Was aktuell wirklich zu Buche schlägt, sind die hohen Transportkosten und die mangelnden Transportkapazitäten. Wir laufen hier gerade in eine große Lücke hinein, was die Rohstoffversorgung angeht. Das heißt für die Produzent:innen natürlich auch, dass sie nichts verkaufen können. Wie sich das entwickeln wird, mag ich nicht beurteilen.

Sarah: Das heißt, es gibt viele Lieferengpässe und leere Regale?

Albrecht: Ja, und die Transportkosten sind unglaublich gestiegen. Fair wäre ja, dass die, die sich zuerst anmelden, auch den Containerplatz bekommen. Ich weiß nicht, wie es läuft, aber ich denke, dass es danach geht, wer am meisten dafür zahlt und wer wen in welchem Hafen schmiert. Es ist eine sehr schwierige Situation momentan.

“Fairer Handel ist gelebte Demokratie.”

Sarah: Was motiviert euch trotz allem?

Albrecht: Das nette Miteinander! Niemand arbeitet hier, um einen großen Gewinn zu erzielen. Und es gibt niemanden, der/die sich als Chef:in aufspielt und mehr verdient als die anderen. Wir verstehen uns als Team, als Gemeinschaft. Wir kommen gerne hierher. Das trägt uns.

Kai: Dem kann ich nur zustimmen. Darüber hinaus ist für mich sehr wichtig, dass ich hinter dem stehen kann, was ich verkaufe. Ich muss mich nicht verstecken oder ein schlechtes Gewissen haben, das ist doch schon Motivation genug, oder? Ich bin jetzt ungefähr zehn Jahre dabei, und alles ist sehr familiär. Da wir auch unsere Kund:innen ziemlich gut kennen, haben wir selten Probleme und Auseinandersetzungen. Ich bin stolz auf uns und unsere Arbeit und auch auf unsere Kund:innen, denn nur mit ihnen können wir unsere Arbeit machen. Und ich freue mich über jede:n, der/die einen neuen Zugang zum Fairen Handel findet, und wenn es nur eine Tafel Schokolade ist.

Albrecht: Ich habe das große Glück gehabt, einmal in Bolivien und Chile gewesen zu sein und dort Handelspartner:innen besucht zu haben. Die Reaktion auf unseren Besuch, die Freude in den Augen – das war großartig! Diese Dankbarkeit, aber gleichzeitig auch das Selbstbewusstsein, mit dem sie uns gegenübergetreten sind. Das ist nicht selbstverständlich. Wer sowas einmal erlebt hat, für den ist Fairer Handel gelebte Demokratie.

Mmmhh... Lecker! © Süd-Nord Kontor

Sarah: Gibt es einen Satz, den ihr nicht mehr hören könnt?

Albrecht: Ja, dass der Nicaragua-Kaffee nicht schmeckt! Das hat zwar nachgelassen, aber noch vor 10-15 Jahren habe ich Veranstaltungen erlebt, auf denen der Faire Handel beworben wurde und die Redner:in damit einstieg, dass es ja früher diesen Nicaragua-Kaffee gab… Nicaragua-Kaffee gehört zu den besten Kaffees der Welt, aber er hat einen sehr hohen Säuregehalt, das heißt man muss vorsichtig mit ihm hantieren und ihn gut verarbeiten. Da kursieren viele Vorurteile, die dem Fairen Handel immer noch nachhängen. Das nervt.

Sarah: Wie blickt ihr in die Zukunft?

Albrecht: Ich denke, dass wir mit unseren Produkten am Puls der Zeit sind, auch was das Thema „Klima“ betrifft. Viele unserer Produkte werden unter dem Gesichtspunkt der Klimagerechtigkeit produziert. Und es wird beim Transport und der Verpackung ein großes Augenmerk aufs Klima gelegt. Setze ich Alufolie ein, um die Schokolade zu verpacken oder nehme ich eine holzbasierte Kunststofffolie, die sich zersetzt? Was für eine Verpackung wähle ich beim Kaffee aus? Muss da noch Stanniol dabei sein? Das mögen Kleinigkeiten sein, aber sie sind wichtig! Gerade auch für jüngere Leuten, die sich aktiv mit den sozialen und ökologischen Hintergründen von Produkten auseinandersetzen.

Auch Socken gehören zum Sortiment, © Süd-Nord Kontor

Sarah: Was wünscht ihr euch von der Stadt Hamburg?

Kai: Die Stadt macht schon einiges – deshalb gibt es ja euch und die Kampagne! Das ist doch schon mal eine tolle Sache. Aber es ist natürlich auch noch viel Luft nach oben.

Albrecht: Vor allem in Sachen Beschaffung! Es gibt zum Beispiel seit vielen Jahren die Forderung in den städtischen Krankenhäusern fair gehandelte Textilien zu verwenden. Aber da spielt letztendlich immer der Preis die entscheidende Rolle. Auch wenn es um Lebensmittel in Kantinen geht, fliegen wir regelmäßig raus, weil andere ihre Produkte günstiger anbieten können. Das ist ärgerlich.

“Wir haben wenig Möglichkeiten, aktiv Werbung zu betreiben, dafür ist die Kampagne großartig.”

Sarah: Was erhofft ihr euch von der Kampagne?

Kai: Dass der Faire Handel im Alltag der Menschen und auch innerhalb der Unternehmen präsenter wird. Dass wir in die „normale Wirtschaft“ einen Hauch von Fairem Handel reinbringen und Leute sich damit auseinandersetzen. Und sich dann hoffentlich dazu entscheiden, nicht den billigen Discounter-Kaffee zu trinken, sondern unseren. Das wäre toll! Und anstatt dass wir am Ende drei Unternehmen voll ausstatten, hätte ich lieber 3.000 Unternehmen, die ein paar faire Produkte beziehen. Denn dann wird in der Breite viel mehr darüber geredet.

Albrecht: Ein Kennzeichnen von Produkten aus dem Fairen Handel ist, dass sie so kalkuliert sind, dass sie am Markt eine Chance haben und jede:r davon profitieren kann. Das bedeutet aber auch, dass beispielsweise der Werbeetat klein ist. Wir haben also wenig Möglichkeiten, aktiv Werbung zu betreiben, und dafür ist diese Kampagne natürlich großartig! Sie gibt uns die Chance, dass der Faire Handel aktiv in der Stadt präsentiert wird.

Albrecht Voigt hat in den 30 Jahren, die er beim Süd-Nord Kontor arbeitet, bereits einiges erlebt. Angefangen als studentische Aushilfe im Versand, ist er nun in der Geschäftsleitung tätig und hält zusammen mit Beate Mohr die Fäden zusammen. Auch Kai Friedrich ist mit 10 Jahren Unternehmenszugehörigkeit schon fast ein alter Hase und kümmert sich jeden Tag mit viel Leidenschaft darum, dass alle Pakete verschickt werden. Von einer Kundin wurde er einmal als die „gute Seele“ des Süd-Nord Kontors bezeichnet. Ein Kompliment, das er gerne annimmt!

Über das Süd-Nord Kontor

Gründungsdatum: 1978

Anzahl der Mitarbeitenden: 13

Faire Produkte:

  • Mehr als 6.000!
  • Lebensmittel (zum größten Teil bio-zertifiziert): Kaffee, Tee, Wein, Schokolade, Knabbereien, Reis, Trockenfrüchte, Aufstriche, Gewürze, Öle…
  • Accessoires, Lederwaren, Schmuck, Wohndekoration, Haushalts- und Wellnessartikel, Papeterie, Spiele…

Länder bzw. Kooperativen/Produzent:innen, von denen die fair gehandelten Produkte kommen: aus aller Welt, mehr Infos hier

Das Süd-Nord Kontor bezieht seine Produkte von Fair Trade-Importeuren (GEPA, El Puente, Weltpartner, Globo…), die im Lieferantenkatalog des Weltladen-Dachverbands gelistet sind und nach den Grundsätzen der World Fair Trade Organization arbeiten.

Zusätzlich zu den fairen Produkten gibt es eine Auswahl an Büchern zu entwicklungspolitischen Themen sowie Romane von Autor:innen aus dem Globalen Süden. Auch Kinderbücher zu globalen Themen und Kochbücher mit Rezepten aus aller Welt gehören zum Büchersortiment.

fairtrade.hamburg