Auftakt Faire Woche 2024: Kaffee, Kakao & Fairer Handel – Lieferketten im Fokus
Der Auftakt der Fairen Woche 2024 fand dieses Jahr erneut im Rahmen des Open Mouth Food Festivals in der Yes Location im Oberhafen statt. Das Open Mouth Festival wird von Hamburg Tourismus durchgeführt und versteht sich als „das Tor zur Food Welt von morgen.“ Neben vielfältigen weiteren Themen war auch das Thema Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt, und auch der Faire Handel war durch den Auftakt der Fairen Woche vertreten. Das Thema war sehr aktuell und bezog sich auf neue Regulierungen wie das EU-Lieferkettengesetz und die EU-Entwaldungsverordnung. Diskutiert wurden positive Auswirkungen ebenso wie ungewollte negative Seiteneffekte, sowie Ansätze des Fairen Handels zur Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen für Produzent:innen in Ländern des Globalen Südens.
Um unsere Themen und Fragen zu erörtern, waren 3 Expert:innen aus der Praxis eingeladen. Zu Gast auf dem hochkarätig besetzten Panel war Evelyn Bahn, die seit 20 Jahren zu Menschenrechtsfragen in globalen Lieferketten arbeitet. Sie setzt sich als Referentin bei der entwicklungspolitischen Organisation INKOTA insbesondere dafür ein, dass Schokoladen- und Kaffeeunternehmen ihrer Verantwortung zur Einhaltung des Menschenrechts auf ein existenzsicherndes Einkommen nachkommen. Evelyn Bahn arbeitet eng mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Ghana und Côte d’Ivoire zusammen. Sie reist regelmäßig in die Kakaoanbauländer, um von den Menschen vor Ort zu erfahren, wo der dringendste Handlungsbedarf besteht. Seit 2017 vertritt sie die Zivilgesellschaft in der Multi-Stakeholder-Initiative Forum Nachhaltiger Kakao.
Ebenfalls anwesend war Christoph Kleine, der sich seit seiner Jugend für internationale Solidarität und globale Gerechtigkeit einsetzt und nach eigenen Angaben „Kaffee liebt, aber nicht den Kapitalismus.“ Seit Oktober 2023 ist er Geschäftsführer von el rojito – Kaffee solidarisch in Hamburg. Als weiterer Gast war Christoph Kubitza, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Agrar- und Entwicklungsökonomie am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) anwesend. Zu seinen Hauptforschungsinteressen gehören die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Landnutzungsänderungen und großflächigen Landkäufen in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen sowie die Auswirkungen neuer Innovationen und Technologien in kleinbäuerlichen Anbausystemen. Als Gast war er vor allem aufgrund seiner Expertise zum Thema Entwaldung geladen. Moderierte wurde die Veranstaltung von Gertrud Falk, Referentin bei FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk (FIAN).
Das Podiumsgespräch
Zu Beginn führte Evelyn Bahn in die Geschichte und gegenwärtige Herausforderungen im Kaffee- und Kakaohandel ein. Beide Güter sind Kolonialwaren, deren massenhafte Produktion für den Konsum im Globalen Norden während der Gewaltherrschaft des europäischen Kolonialismus etabliert wurde, und aus dieser Zeit ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sowie extrem umweltschädliche Anbaupraktiken mit in die (post)koloniale Gegenwart transportiert hat. Oft wird in den Anbauländern selbst kaum Kaffee getrunken oder Kakao konsumiert, so dass die Produktion kaum Bedeutung für dortige Konsumkultur hat.
Die Umweltschäden sind jedoch enorm: In der Côte d’Ivoire wurden zum Beispiel seit den 60er Jahren 90% des tropischen Regenwaldes abgeholzt, die Hälfte davon für den Kakaoanbau. Obwohl die Preise an der Börse aktuell sehr hoch sind, haben kleinbäuerliche Betrieben davon kaum etwas und leben unter dem Existenzminimum. In 9 von 10 größten Anbauländern erzielt die Mehrheit der Kafeefarmer:innen zum Beispiel demnach kein existenzsicherndes Einkommen. Oft müssen sie sich zwischen notwenigen betrieblichen Investitionen und der Befriedigung von Grundbedürfnissen oder Ausgaben für Bildung für Kinder entscheiden, was oft dazu führt, dass Kinder im Betrieb mit arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen. Auch im Bereich Kakao sieht die Situation nicht besser aus, da nur 8 Cent (6% des durchschnittlichen Preises einer Tafel Schokolade á 86 Cent) bei den Produzent:innen ankommt, während der Einzelhandel ca. 36 Cent Gewinn macht.
Auch der Faire Handel konnte hier nicht immer zufriedenstellende Fortschritte erreichen. So kritisierte Evelyn Bahn auch Fairtrade dafür, in den Sektoren Kaffee und Kakao Preise zu zahlen, die ein existenzsicherndes Einkommen für die kleinbäuerlichen Produzent:innen nicht ermöglichten. Die Begründung hierfür, der Markt würde keine höheren Preise zulassen, und die Angst, dass dann die Nachfrage nach fairen Produkten einbrechen würden, kann Bahn nur bedingt teilen. Einzelne Fairhandelsunternehmen wie GEPA, fairafric, Tony´s chocolonely oder das ebenfalls anwesende Kaffeekollektiv El Rojito zeigten ganz im Gegenteil, dass eine faire Preispolitik möglich sei.
Aufgrund von zunehmendem Druck auf den Anbau, zum Beispiel die Auswirkungen der Klimakrise sowie Produktionseinbrüche durch fehlende Investitionen sei davon auszugehen, dass die Preise weiter steigen werden. Die kleinbäuerlichen Betriebe profitierten davon jedoch nicht, da die Abnahmepreise weiterhin von großen Unternehmen und Zwischenhändler:innen diktiert würden und Preissteigerungen nicht weitergegeben würden, so Bahn. Erheblich reduzierte Erntemengen seien so zu erwarten. Die steigenden Preise könnten auch zu einem Einstieg weiterer Länder in das Geschäft führen. Deswegen sei es umso wichtiger, Regularien zu entwickeln, um dort in Zukunft Menschenrechte und Ökosysteme zu schützen.
Regularien in der Landnutzung und Entwaldungsschutz – das Fachgebiet von Dr. Christoph Kubitza, der in der anschließenen Podiumsdiskussion die sektor- und Länderspezifizität von Landnutzung hervorhub, die eine allgemeingültige Regelung wie die EU- Entwaldungsverordnung erschwere. Für viele Lieferketten sei die EU kaum mehr relevant, so Kubitza, und so müsse man sich der begrenzten Auswirkung dieser Regularien bewusst sein.
El rojito importiert und vertreibt solidarisch Kaffee von demokratisch organisierten Kooperativen in Südamerika und hat seinen Ursprung in der Nicaragua-Solidaritätsbewegung. Auch Geschäftsführer Christoph Kleine berichtet von den negativen Auswirkungen der Entwaldungsverordnung, da die Verantwortung dadurch ganz nach „unten“, an den Ursprung globaler Lieferketten weitergegeben werde, wo kleine Kooperativen damit überfordert seien, nun über GPS Daten nachweisen zu müssen, den neuen Regularien zu folgen. Größere Unternehmen wiederum könnten dies einfacher leisten und somit einen Wettbewerbsvorteil erhalten, der ihnen zusätzliche Marktmacht über kleinbäuerliche Betriebe verleiht – ein ungewollter Nebeneffekt, der aber durch Anpassungen in der Verordnung abgeschwächt werden könnte. Evelyn Bahn bestätigte, dass Unternehmen, die maßgeblich für die Entwaldung verantwortlich seien, dieser Verantwortung nicht nachkämen.
Christoph Kleine spricht auch von einem fundamentalen Machtungleichgewicht mit überdimensional großem Einfluss großer Konzerne und einer eigenen wirtschaftspolitischen Agenda der EU. Grundsätzliche Änderungen seien innerhalb des kapitalistischen Systems aus seiner Sicht nicht möglich. Die „Macht der Konsument:innen“, solle zudem nicht unterschätzt werden, waren sich alle Diskutant:innen einig. Dennoch, so appellierte Kleine zum Ende der Veranstaltung, sollten Konsument:innen bereit sein, den Wert von Kaffee (und Kakao) anzuerkennen und höhere Preise dafür zahlen. Als weiteren Schritt schlug Kleine vor, die Kaffeesteuer für fair gehandelten Kaffee abzuschaffen, um mehr Spielraum in der Preisgestaltung zu ermöglichen, und somit existenzsichernde Einkommen für die Produzent:innen zu erreichen. Denn der größte Profiteur sei der Staat.
Nach einem erkenntnisreichen Gespräch gab es im Anschluss die Gelegenheit für Fragen aus dem Publikum. Nach einigen interessanten Fragen und einem Schlusswort aller Gäst:innen wurde die Veranstaltung beendet.