Rückblick: Grüner Wasserstoff, weiße Prioritäten? Energiewende zwischen Klimagerechtigkeit und Kolonialität

Unsere Gäst:innen auf dem Podium. Foto: Fair Trade Stadt Hamburg.
Am 15. September 2025 fand im Rahmen der Fairen Woche 2025 und als Teil unserer Veranstaltungsreihe Hamburg. handelt. dekolonial? in Kooperation mit dem Deutschen Hafenmuseum unsere Podiumsdiskussion zu „Grünem“ Wasserstoff statt. Unter dem Titel „Grüner Wasserstoff, weiße Prioritäten? Energiewende zwischen Klimagerechtigkeit und Kolonialität“ haben wir gemeinsam mit Expert:innen am Beispiel geplanter Projekte in Namibia und der Westsahara einen genaueren Blick auf die Perspektiven und Argumente geworfen, die in der Debatte häufig übersehen werden. Dabei ging es insbesondere um tatsächliche Auswirkungen der Megaprojekte für die Menschen in den geplanten Produktionsländern, koloniale Kontinuitäten im Namen des Klimaschutzes sowie die Frage, ob „Grüner“ Wasserstoff wirklich zu einer klimagerechten Zukunft beitragen kann.
Dafür durften wir im Deutschen Hafenmuseum neben rund 35 Gäst:innen im Publikum und ca. 60 per Livestream zugeschalteten Teilnehmenden drei tolle Expert:innen auf dem Panel begrüßen:
Fatim Selina Diaby (sie/keine) arbeitet als freie Autor*in, Poet*in und in der politischen Bildung. Als Teil mehrerer Kollektive organisiert und engagiert sie sich an der Schnittstelle von Gesundheit, Klima und racial Gerechtigkeit. Zusammen mit We Smell Gas hat Fatim Selina eine Videoreihe zu Grünem Wasserstoff realisiert.
Emma Lehbib ist Vereinssprecherin der Saharauischen Diaspora in Deutschland und engagiert sich akademisch und aktivistisch für das Selbstbestimmungsrecht ihres Volkes sowie gegen die Ressourcenausbeutung in der Westsahara – insbesondere im Kontext internationaler Energieprojekte.
Boniface Mabanza ist Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in der Werkstatt Ökonomie/Heidelberg mit den Schwerpunktthemen Handelspolitik, Rohstoffpolitik und Globalisierung. Er ist Trainer für Entwicklungspolitik und Antirassismus für verschiedene Institutionen und aktiv in zahlreichen Netzwerken der Afrikanischen Diaspora in Deutschland und Europa.
Canê Çağlar hat den Abend als Moderatorin begleitet und durch das Gespräch geführt. Sie ist politische Bildnerin, Moderatorin, Doktorandin und Bildungswissenschaftlerin. Ihre Schwerpunkte umfassen insb. strukturelle Diskriminierung, Dekolonisierung sowie Bildungsgerechtigkeit. Zu ihren letzten Arbeiten gehören u.a. Vorträge für Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB) in Hamburg sowie Artikel für das Kohero-Magazin.
Direkt vor der Veranstaltung gab es in Kooperation mit hamburg.global außerdem die Möglichkeit, sich im Rahmen der Schnackschmiede schon einmal zu Austausch und Vernetzung zu treffen und auf das Thema einzustimmen.
Neben unseren drei tollen Gäst:innen, die für uns auf dem Panel gesprochen haben, war ursprünglich auch Johanna Tunn eingeladen. Johanna forscht an der Universität Hamburg zu den Risiken der deutschen Wasserstoffstrategie, insbesondere in Bezug auf Projekte in Namibia. Im Zentrum stehen dabei polit-ökologische Perspektiven, koloniale Kontinuitäten und Fragen der Klimagerechtigkeit. Wir hätten uns sehr gefreut, sie auf dem Podium begrüßen zu dürfen, jedoch war sie leider krankheitsbedingt verhindert.
Die Podiumsdiskussion

Boniface Mabanza. Foto: Fair Trade Stadt Hamburg.
Boniface Mabanza machte darauf aufmerksam, dass die geplanten Wasserstoffprojekte bei genauerer Hinsicht gar nicht so „grün“ sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Weiterhin bezog sich seine Kritik auf den Fakt, dass zur Bekämpfung der Energiearmut von Ländern wie Namibia kein „Grüner“ Wasserstoff nötig ist und es sich damit erneut um Projekte handelt, von denen nur der Globale Norden profitieren würde. Daran anknüpfend sensibilisierte er das Publikum dafür, was der Bau der Projekte für die lokale Bevölkerung in den geplanten Produktionsgebieten bedeutet und dass sie demnach auch vor dem Hintergrund der Klima- und globalen Gerechtigkeit unbedingt kritisch beleuchtet werden müssen. So erzählte er uns von dem sogenannten „Hyphen“-Projekt in Namibia, das vor dem Hintergrund von Genozid und Landnahme während der deutschen Kolonialherrschaft die Frage nach kolonialen Kontinuitäten aufwirft. Das Projekt, das zu großen Teilen von einem deutschen Unternehmen getragen wird, soll im Gebiet des Tsau-ǁKhaeb-Nationalparks entstehen – einem ehemaligen Diamantenabbaugebiet. Bereits 1908 wurde der lokalen Bevölkerung von der deutschen Kolonialbehörde der Zugang zu dem Gebiet verwehrt, nachdem dort Diamanten entdeckt wurden. 2008 wurde schließlich der Nationalpark errichtet, doch die lokale Bevölkerung hat noch immer einen sehr beschränkten Zugang zu dem Gebiet. Das Beispiel macht deutlich, dass den Stimmen der lokalen Bevölkerung erneut keine Beachtung geschenkt wird: die Ovaherero und Nama, denen das Gebiet vor der kolonialen Landnahme gehörte, wurden nicht in die Planung des Projektes integriert.

Fatim Selina Diaby. Foto: Fair Trade Stadt Hamburg.
Auch Fatim Selina Diaby leistete einen wichtigen Beitrag zur Diskussion und ergänzte insbesondere hinsichtlich des geplanten Megaprojekts „Hyphen“ zur Produktion von „Grünem“ Wasserstoff in Namibia, dass der Hafen der Stadt Lüderitz zugunsten der Exportinfrastruktur für den „Grünen“ Wasserstoff auf Teile der sogenannten Shark Island ausgeweitet werden soll. Bei der Insel handelt es sich allerdings um einen Gedenkort, der an die tausenden Ovaherero und Nama erinnern soll, die dort während der Kolonialzeit in einem deutschen Konzentrationslager gestorben sind. Außerdem knüpfte Fatim Selina an die Kritik um den Produktionsstandort des Projektes an, der Teile des Tsau-ǁKhaeb-Nationalparks umfasst. Fatim Selina erklärte diesbezüglich, dass die Wahl des Standorts auch aus einer Perspektive der Klimagerechtigkeit problematisch ist. So weist der Park eine enorme Biodiversität auf und ist von großer Bedeutung für die (lokale) Artenvielfalt.

Emma Lehbib. Foto: Fair Trade Stadt Hamburg.
Emma Lehbib gab uns außerdem einen Einblick in die Pläne zur Produktion von „Grünem“ Wasserstoff in der Westsahara und berichtete, dass dieses auf völkerrechtswidrig besetztem Gebiet geplant wird. Das Gebiet der Westsahara ist seit 1975 illegal von Marokko besetzt – nun plant die marokkanische Regierung ein Wasserstoffprojekt, das zu etwa drei Vierteln auf Flächen stattfinden soll, die zur besetzten Westsahara gehören. Die Sahrauis haben der Nutzung ihres Landes und ihrer Ressourcen im Rahmen des Projektes jedoch nicht zugestimmt – obwohl auch die internationale Rechtsprechung darauf hingewiesen hat, dass sie den wirtschaftlichen Aktivitäten auf ihrem Gebiet vor einem möglichen Start der Projekte zustimmen müssten. Für die Saharauische Bevölkerung bedeutet das konkret, dass sich die systemische Gewalt und die Menschenrechtsverletzungen, die sie im Rahmen der marokkanischen Besetzung erfahren, fortsetzen. So werden sie beispielsweise aus ihren Häusern, die anschließend verbrannt werden, vertrieben, damit der Raum für die Wasserstoffproduktion verwendet werden kann. Auch von den geschaffenen Arbeitsplätzen profitieren die Sahrauis nicht, da sie diskriminiert und marokkanische Siedler:innen auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt werden. Während die vermeintlichen Vorteile der Produktion von „Grünem“ Wasserstoff durch Marokko betont werden, findet die Perspektive der Sahrauis in der internationalen Debatte kaum Beachtung.
Videobotschaft von Sima Luipert

Videobotschaft von Sima Luipert. Foto: Fair Trade Stadt Hamburg.
Ergänzt wurde die Diskussion durch eine Videobotschaft von Sima Luipert, die sie uns für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt hatte. Sima ist Nachfahrin der Nama in vierter Generation nach dem Genozid. Sie arbeitet unter anderem als Beauftragte der Nama Traditional Leaders Association im Bereich Internationale Beziehungen und berät zu Reparationen. Auch sie verdeutlichte noch einmal, was das „Hyphen“-Projekt für die lokale Bevölkerung – die Nachfahren des Genozids, der im 20. Jahrhundert im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, stattfand – bedeutet. Indem ihnen weiterhin der Zugang zu diesem Gebiet verwehrt wird und man ihnen kein Mitbestimmungsrecht einräumt, setzt sich der Kreislauf der Ausbeutung und Ungerechtigkeit fort – diesmal unter dem Deckmantel von Nachhaltigkeit und Klimaneutralität. Die Interessen der Nama und Ovaherero bleiben in der Debatte um „Hyphen“ nahezu unbeachtet, da sie auch an der namibischen Regierung nicht beteiligt sind – wie in der Vergangenheit profitieren sie in keinster Weise von den wirtschaftlichen Aktivitäten, die zugunsten deutscher Interessen auf ihren Gebieten stattfinden sollen. Demzufolge fordert sie, dass die verantwortlichen Akteure – wie die Regierung, Hyphen und der Green Hydrogen Council – Sorgfaltspflichten einhalten und sicherstellen, dass die Rechte der Nama respektiert werden.
Wie lassen sich die Projekte zur Produktion von „Grünem“ Wasserstoff aus einer dekolonialen Perspektive einordnen?
Insgesamt zeigen die Perspektiven unserer drei Gäst:innen auf dem Podium, dass Projekte zur Produktion von „Grünem“ Wasserstoff wie in Namibia oder der Westsahara auf Kosten der Produktionsländer im Globalen Süden stattfinden und koloniale Verbrechen fortschreiben. So lassen sich Argumente und Positionen, die behaupten, dass diese gleichberechtigt profitieren – etwa durch neue Arbeitsplätze, den Kampf gegen Energiearmut und solidarische Partnerschaften – wie die Beispiele aus Namibia und der Westsahara gezeigt haben, leicht entkräften. Während „weiße“ Interessen verfolgt werden, werden die Stimmen der tatsächlich betroffenen Menschen an den geplanten Produktionsorten erneut nicht einbezogen.
Entsprechend werden globale Ungerechtigkeiten sowie koloniale Macht- und Gewaltstrukturen fortgesetzt. Umso wichtiger ist es, angesichts dessen Haltung zu zeigen und aktiv zu werden. Boniface, Fatim Selina und Emma haben uns aufgezeigt, dass es viele Organisationen gibt, die man unterstützen kann – darunter die Kampagne „Völkermord verjährt nicht!“, die NGO „Western Sahara Resource Watch“, den Verein Freiheit für die Westsahara e.V. und die Saharauische Diaspora in Deutschland. Darüber hinaus ist es hilfreich, Informationen weiterzuerzählen und -tragen, oder sich bei fehlerhaften oder unvollständigen Informationen an die betreffenden Unternehmen oder Redaktionen zu wenden, um Unwissenheit entgegenzuwirken.
Außerdem wurde deutlich, dass sich auch der Faire Handel mit den Energiequellen von Produktionsgütern auseinandersetzen und bestehende Machtstrukturen dahingehend hinterfragen muss.
Wir bedanken uns noch einmal bei unseren Gäst:innen und Expert:innen für den bewegenden Abend und den inspirierenden Austausch, der daraus entstanden ist.
Für alle, die nicht dabei sein konnten, gibt es die Möglichkeit, sich den Mitschnitt der gesamten Veranstaltung auf unserem YouTube-Kanal anzuschauen.
Die Veranstaltungsreihe Hamburg. handelt. dekolonial? wird ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung von Brot für die Welt, des Katholischen Fonds‘, des Kirchlichen Entwicklungsdienstes der Nordkirche und der Norddeutschen Stiftung für Umwelt und Entwicklung.

