Faire Woche 2024: Fair übers Meer? Arbeitsbedingungen auf See

Der Faire Handel strebt die Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen für Produzent:innen an. Aufgrund historischer Machtasymmentrien fokussieren sich die Ansätze meist auf die Produktion am Ursprung globaler Lieferketten. Doch was passiert eigentlich zwischen Produktion und Konsum, auf den maritimen Transportrouten des Welthandels? Müsste der Faire Handel nicht auch die Arbeitsbedingungen im Transportwesen stärker beachten?

Über 90% aller Waren erreichen Deutschland per Schiff. Der Hamburger Hafen schlägt als Drehkreuz des Welthandels jährlich Millionen von Containern um. Doch hinter diesen beeindruckenden Zahlen verbirgt sich eine oft unsichtbare Realität: die Arbeit der Seeleute. Trotz der enormen Bedeutung der Schifffahrt sind die Arbeitsbedingungen häufig prekär. Sicherheitsstandards werden missachtet, Löhne verweigert, und viele der meist aus Ländern des Globalen Südens stammenden Seeleute arbeiten unter gefährlichen und unwürdigen Bedingungen.

Die Seemannsmission Altona bietet den Seeleuten Unterstützung und Vernetzung, vertritt ihre Interessen, führt Bordbesuche durch und schafft durch zahlreiche kulturelle und soziale Angebote einen sicheren Hafen. Sie ist Teil eines weltumfassenden Netzwerkes mit über 30 Stationen. Doch angesichts knapper finanzieller Mittel kämpft die Einrichtung darum, ihre Angebote aufrechtzuerhalten.

Was kann getan werden, um die Arbeitsbedingungen auf See zu verbessern? Wie können internationale Abkommen wie die Maritime Labour Convention ausgeweitet und deren Einhaltung überprüft werden? Und wie kann sie Seemannsmission in Zukunft besser ausgestattet werden?

Das Podiumsgespräch

Im Rahmen der Fairen Woche 2024 lud die Seemannsmission Altona in Kooperation mit der Fair Trade Stadt Hamburg zum Gespräch ein. Mit dabei waren Fiete Sturm (Diakonischer Leiter der Seemannsmission), Christian Bubenzer (Berufsgenossenschaft Verkehr) und Markus Wichmann (Internationale Transportarbeiter-Föderation ITF). Moderiert wurde die Veranstaltung von Johanna Zschornack (Bremer Entwicklungspoltisches Netzwerk).

Fiete Sturm gab zu Beginn einen kleinen Einblick in die Arbeit der Seemannsmission Hamburg-Altona und die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Seeleute. Auch wenn sich die Bedingungen durch die Maritime Labour Convention (MLC) verbessert hätten, seien immer noch viele Missstände gegeben, deren Kontrolle und Verbesserung nicht einfach seien. Die MLC setzte zwar gewisse Mindeststandards fest, doch in der Praxis würden diese nicht immer durchgesetzt. So seien zum Beispiel die dort festgeschriebenen Landgänge „wenn betriebliche Abläufe dies ermöglichen“ in der Realität ein Hindernis für Reedereien, die möglichst schnell wieder auslaufen möchten und gerade im Hafen die meisten ihrer knapp bemessenen Besatzung benötigen, die so oft mit überlangen Arbeitszeiten, wenig Schlaf und kaum ausreichendem Landgang konfrontiert sind.

Zudem kommt ein Großteil der Besatzungsmitglieder aus den Philippinen, wo Arbeitsrechte keinen großen Stellenwert genießen. Viele kennen ihre Rechte nicht oder sind zögerlich, diese einzufordern, da sog. „schwarze Listen“ unter den Reedereien kursieren, und sie ihre im Vergleich zur philippinischen Gesellschaft relativ gut bezahlten Jobs in der internationalen Schifffahrt nicht verlieren möchten. Deswegen unterstützt die Seemannsmission nicht nur Seefahrende in ihren Belangen, sondern möchte auch die „geheime Welt der Seeleute“ durch Veranstaltungen wie diese oder durch Fotoausstellungen sichtbarer machen und ins Bewusstsein der Bevölkerung bringen.

Ein großes Problem sei außerdem die Beflaggung, so Christian Bubenzer, der neben seiner Funktion für die Berufsgenossenschaft auch Einflaggungsmanager der Deutschen Flagge ist. Von den deutschen Reedereien ist nur ein Bruchteil deutsch begflaggt. Über 50% aller Reedereien in der EU wiederum setzt auf Billigflaggen im Ausland, die sich nur bedingt um die Umsetzung der Regularien zum Arbeitsschutz kümmern, aber die Reedereien mit vielen attraktiven Bedingungen und günstigen Preisen locken. Sog. Billigflaggen wie Liberia seien weniger bürokratisch und böten den Reedereien einen umfassenden Service, so Bubenzer.

Neben der Durchsetzung der MLC sind auch Tarifverträge ein wichtiges Instrument für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen, erklärte Markus Wichmann von der ITF. Den größten Teil seiner Arbeit verbringt er mit Kontrollgängen auf Schiffen, die tarifgebunden sind, notfalls bleibt er auch auf dem Schiff, bis die Mängel behoben sind. So konnten 2023 beispielsweise rund 60 Millionen € ausstehende Gehälter durch die Arbeit der ITF erstritten werden. Die MLC habe vieles verbessert, eine Tarifbindung wäre aber noch besser, so Wichmann.

Die Moderatorin Johanna Zschornak ist selbst Expertin für Arbeitsrechte auf See und stellte die Verbindung zum Fairen Handel her. Reedereien würden sich oft auf die Maritime Labour Convention zurückziehen, ohne Standards darüber hinaus zu erhöhen, führte Zschornak aus. Die konsequente Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes wäre allerdings mit der Durchsetzung höherer Standards verbunden. Die für das Monitoring des Lieferkettengesetzes zuständige deutsche Behörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), die für das Monitoring der Sorgfaltsberichte der Unternehmen zuständig ist, kann durchaus tätig werden und die im Rahmen des Lieferkettengesetzes möglichen Sanktionen verhängen, wenn Unternehmen ihren Pflichten in der Seefahrt nicht nachkommen. Dafür brauche es allerdings Hinweise aus der Zivilgesellschaft oder von Angestellten, damit die Missstände öffentlich werden.

Abschließend appellierten die Teilnehmende, es sollte uns klar werden, dass fast alle Gegenstände die wir besitzen, über das Meer geliefert wurden. Dies gilt auch für Produkte des Fairen Handels, die in den Hamburger Weltläden verkauft werden. Insbesondere in Deutschland wird zwar seit einiger Zeit mehr auf die Arbeitsbedingungen in der Speditionsbrache geachtet, ein Bewusstsein für das Maritime sei aber sowohl in Politik und den Behörden, aber auch im Fairen Handel noch nicht ausreichend ausgeprägt.

Nach einem sehr interessanten Gespräch über Einflaggung, Bordbesuche, maritime Konventionen und Bezüge zum Fairen Handel entstand im Anschluss ein reger Austausch zwischen den Teilnehmenden und dem Publikum, dem auch Seeleute angehörten, die ihre eigenen Erfahrungen teilten. Es bleibt die Hoffnung, dass wenigstens die Seemannsmission in Zukunft besser ausgestattet werden könnte, um ihr wichtiges Angebot zur Unterstützung der Seeleute aufrechtzuerhalten, oder sogar auszubauen.