Den Hafen dekolonisieren? – Panel Rückblick

Seit 2011 trägt Hamburg den Titel „Fairtrade-Town“. Dafür muss die Stadt verschiedene Kriterien zur Stärkung des Fairen Handels erfüllen, u.a. eine aktive Steuerungsgruppe, Öffentlichkeitsarbeit sowie eine gewisse Anzahl fair gehandelter Produkte, die in Geschäften verfügbar sein müssen. Dieser Titel soll Städte und Kommunen inspirieren, auch darüber hinaus den Fairen Handel zu stärken. Als Welthandelsmetropole ist Hamburg jedoch auch Knotenpunkt eines ungerechten Welthandels, der in kolonialer Kontinuität von Ausbeutungsverhältnissen und Machtasymmetrien geprägt ist. Ein zentrale Drehscheibe dieses Handelssystems ist zweifelsohne der Hamburger Hafen.

Fotos @ Kati Jurischka

Vier Frauen im Gespräch

v.L.n.R. Dr. Tania Mancheno, Martina Zimpel, Ursula Richenberger, Canê Çağlar

In Kooperation mit Ossara e.V. und den drei Panelistinnen stellten wir uns gemeinsam die Frage nach Perspektiven auf koloniale Kontinuitäten im Hamburger Hafen. Zu Gast war Ursula Richenberger, Kulturwissenschaftlerin und Fachbereichsleiterin für Bildung, Vermittlung und Programm beim Deutschen Hafenmuseum, das Hafengeschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen möchte. Dazu zählt auch die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte mit Bezug auf den Hafen, unter anderem anhand des Segelschiffes „Peking„. Das Schiff war bis in die 1930er Jahre in den Transport von Salpeter verwickelt, der für die Dünger- und Schießpulverproduktion in Europa unerlässlich war und dessen Abbau und Transport mit der Ausbeutung und der Vertreibung von indigenen Communities in der Atacama Wüste in Chile einherging. Die „Peking“ wurde im Hamburger Hafen gelöscht und ist heute Ausstellungsstück des Hafenmuseums. Ausgehend von der Kolonialgeschichte des Hamburger Hafens am Beispiel der „Peking“ spannte Richenberger den Bogen zu aktuellen Plänen, „grünen“ Wasserstoff und Lithium aus der Atacama Wüste zu gewinnen. Dieses Beispiel verdeutlicht die historisch gewachsenen Machtstrukturen und deren Reproduktion in globalen Lieferketten im Hamburger Hafen – damals wie heute.

Martina Zimpel

Martina Zimpel vom Bezirksamt Harburg bereicherte das Gespräch durch ihre Erfahrung als Begleiterin mehrerer Denkwerkstätten mit dem Ziel, in einem kontinuierlichen Prozess, insbesondere migrantische Communities in die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Harburger Binnenhafens mit einzubeziehen. Martina berichtete über die Herausforderung, gezielt bestimmte Gruppen anzusprechen. Dies sei wichtig, um über die Kontinuität rassifizierter Gewalt während der Kolonialzeit bis heute zu sprechen. Aus dem Baakenhafen liefen zum Beispiel auch die Schiffe aus, die deutsche Soldaten nach Namibia brachten, wo Deutschland den ersten Genozid des 21. Jahrhunderts an Herero und Nama verübte.

Dr. Tania Mancheno

Kritik wurde auch an aktuellen Plänen zum Ausbau des Hafens geäußert, sowie an einschlägigen Lobbygruppen aus der Wirtschaft, die den Hafen als zentralen Knotenpunkt eines ungezügelten Kapitalismus weiter ausbauen möchten und an einer kritischen Aufarbeitung der damit verbundenen Verstrickung des Hafens in koloniale Gewaltsysteme nicht interessiert sind. Zu oft, so Martina Zimpel, dominierten nostalgische und historisch verklärte Sichtweisen zum und mit Hafen.

Tania Mancheno, assoziierte Wissenschaftlerin der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ an der Uni Hamburg, ordnete die Debatte um die Kolonialität des Hafens aus afrozentristischer und dekolonialer Perspektive ein und erinnerte uns zum Abschluss eindringlich daran, dass der Hamburger Hafen nicht nur Knotenpunkt globaler Lieferketten, sondern auch als Symbol eines sicheren Hafens des Ankommens sein könne, vor allem für flüchtende Menschen. Außerdem betont sie, dass die aktuell geführten Diskurse um „Dekolonialisierung“ zwar begrüßenswert seien um mit der kolonialen Amnesie des „Westens“ zu brechen, die Gefahr einer inflationären Verwendung und Verwässerung des Begriffs aber ernst zu nehmen sei.

Ursula Richenberger und Moderatorin Canê Çağlar

Im Laufe des Gesprächs wurde auch betont, dass die Perspektive der im und am Hafen und auf den Schiffen arbeitenden Menschen wichtig für Ansätze zur Dekolonialisierung des Hafens seien und Unterstützung für die aktuellen Proteste gegen den Teilverkauf der HHLA geäußert. Dies greift auch die Debatte im Fairen Handel zu Arbeitsbedingungen auf Transportschiffen auf.