Der Faire Handel und das Gemeinwohl – ökonomische Veränderung durch sozialethischen Handel

Rückblick zum GWÖ-Salon am 15.09.2018 als Beitrag zur Fairen Woche 2018 in den Räumen der Rathauspassage Hamburg

Eine andere Welt ist möglich! Und eine andere Wirtschaft auch! Viele Menschen weltweit bewegt und vereint der Wunsch nach fairen, solidarischen Handelbeziehungen als Alternative zu profitorientierten, auf den eigenen Vorteil ausgelegten Marktmechanismen. Denn ganz ohne Konsum kommen selbst die Kapitalismuskritiker_innen der ersten Stunden selten aus. Irgendetwas Unabdingbares muss dann doch mal gekauft werden.  Aber wo und was man bei wem kauft – sei es eine Dienstleistung, ein Produkt, ein Lebensmittel – ist eine Entscheidung, mit der man Einfluss auf die intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit nehmen kann.

Geld ist nicht das Ziel, sondern das Mittel des Wirtschaftens, beschreibt Dr. Anke Butscher, GWÖ Beraterin und Mitglied im Netzwerk der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Die Gemeinwohl-Bilanz misst Erfolg nach wertebasierten Maßstäben: Nicht die Gewinnmaximierung ist das Ziel, sondern die Mehrung des Gemeinwohls. Auf Basis der Gemeinwohl-Matrix können Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Gemeinden und Privatpersonen bilanzieren, inwiefern sie zur Mehrung des Gemeinwohls beitragen. Eine GWÖ-Bilanz ist nicht nur für die Kommunikation und Rechenschaft „nach außen“, sondern auch für die Analyse „nach innen“ nützlich. 1000 Punkte, die bei einer Bilanzierung maximal erreicht werden können, hat auch das Unternehmen El Puente nicht geschafft. Der Fairhandels-Importeur aus dem niedersächsischen Nordstemmen hat 2017 allerdings die bisher beste unternehmerische GWÖ-Bilanz erstellt.

„Stabile, gerechte und gemeinschaftliche Lieferketten für globale Produkte aufzubauen, ist die Grundlage des Fairen Handels“ sagt Anna Wolf von El Puente. „Kern unseres Wirtschaftens ist das Streben nach einer Mehrung des Gemeinwohls für alle Beteiligten, vor allem aber für benachteiligte Handelspartner_innen im Globalen Süden.“ Ist Fairer Handel also real gewordene Gemeinwohlökonomie? Nicht ganz, sagt Anna. Zwar ist es El Puente bei der Bilanzierung einfach gefallen, die gemeinwohlorientierten Ansätze des eigenen Wirtschaftens zu identifizieren. Allerdings sind durch die erstmalige Bilanzierung auch „Blinde Flecken“ im Unternehmen sichtbar geworden: zum Beispiel wurde intensiv diskutiert, ob einige Produkte – namentlich Deko-Herzen aus Speckstein – in einer globalen Gesellschaft, in der die Mehrung des Gemeinwohls oberstes Ziel ist – tatsächlich gebraucht werden. Eine andere Baustelle für El Puente und den Fairen Handel im Allgemeinen ist die schlechte Klimabilanz der weiten Transportwege. El Puente berechnet zurzeit die Transportwege am Beispiel Kaffee zusammen mit der GEPA und wird die unvermeidbaren Emissionen mit einem Projekt in Tansania ausgleichen. Für den Standort Nordstemmen geschieht das bereits seit diesem Jahr.

Das Gemeinwohl hat unter den Quinoa-Produzent_innen des bolivianischen Hochlandes schon lange einen hohen Stellenwert. Nelson Perez, Präsident des bolivianischen Nationalverbandes der Quinoa-Produzent_innen ANAPQUI und selbst Quinoa-Bauer, ist zum Anlass der Fairen Woche 2018 auf Rundreise in Deutschland, um die Menschen aus erster Hand über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im bolivianischen Hochland zu informieren.  Diese werden immer schwieriger, denn Auswirkungen des Klimawandels sind auf 4000 Höhenmetern, wo die „beste und proteinreichste Quinoa der Welt“ wächst, schon spürbar. Zum Beispiel führen immer stärkere Winde dazu, dass junge Pflanzen mit Sand bedeckt werden und sich nicht entwickeln können. Quinoa-Produktion und -Ernte im karg besiedelten Hochland ist Gemeinschaftsarbeit. Die Produzent_innen des Altiplano helfen sich in der Regel gegenseitig, eine solidarische und verlässliche Nachbarschaft nützt der Gruppe und jedem Einzelnen. Die langjährigen Handelspartnerschaften mit Fairhandels-Importeuren wie El Puente stärken die Gemeinschaft der Quinoa-Produzent_innen. Zum Beispiel wurde durch die Fairhandels-Prämie ein eigenes Labor für optimierte biologische Schädlingsbekämpfung aufgebaut. Das schafft Unabhängigkeit von großen Konzernen und reduziert Ernteausfälle.

Die Veranstaltung hat gezeigt, dass Fairer Handel ein Instrument zur Mehrung des globalen Gemeinwohls ist. Der Faire Handel kann von der jüngeren GWÖ-Bewegung profitieren, indem z.B. durch GWÖ-Bilanzierung „Blinde Flecken“ in der Handelsstruktur sichtbar werden und etablierte Prozesse und Produkte neu hinterfragt werden. Fairer Handel zeigt, dass Gemeinwohloptimierung global funktionieren kann und eine andere Wirtschaft möglich ist.